Das unartige Satiremagazin!
In dubio pro reo? Blödsinn!
Die Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen haben noch keine Ergebnisse vorgelegt, wer hinter dem Gift-Attentat gegen den Doppelagenten Sergej Skripal steht. Doch die Außenpolitiker Europas haben sich bereits entschieden: Der Russe ist schuld!
Erst verurteilen, dann aufklären? Der charismatische Außenminister Heiko Maas erklärt uns, wie das funktioniert: „Ich hab das vor einiger Zeit schon mit meinem jüngsten Sohn ausprobiert: Eine zerbrochene Fensterscheibe und ein Fußball im Schlafzimmer. Wär doch gelacht, wenn ich den kleinen Bengel nicht überführen kann. Der stellt immer solche Sachen an. Also war er mein Hauptverdächtigter. Genau genommen sogar mein einziger Verdächtigter. In früheren Zeiten wäre es meine Aufgabe gewesen, ihm seine Schuld zu beweisen.
Das ist mit dem neuen Rechtsstaatsprinzip 2.0 aber jetzt viel einfacher. Sohn pass auf. Ich habe auf dem Ball deinen Namen notiert. Alle Spuren weisen also darauf hin, dass du der Schuldige bist. Du musst mir jetzt deine Unschuld beweisen. Damit hatte die kleine Rotznase schon verloren: War er der Täter, dann konnte er seine Unschuld nicht beweisen. War es jemand anders, dann wusste mein Sohn auch nicht mehr als ich. Zur Verstärkung holte ich noch die Mama hinzu. Ich stehe voll hinter den Anschuldigungen von Papa, so sagte sie. Und halte alles, was er sagt, für plausibel. Prima, ich hatte ihr nicht einmal darlegen müssen, warum ich meinen Sohn beschuldige. So geht Solidarität.“
Der junge Mann wurde also mit 14 Tagen Hausarrest bestraft. Die Ermittlungen verliefen im Anschluss im Sande. War auch besser so. Die Strafe war ja schon ausgesprochen. Man stelle sich vor, es wäre am Ende doch ein anderer Täter aufgetaucht. Der Kleine hatte auch rein gar nichts zur Aufklärung des Falles beigetragen. „Ich bin zwar kein Justizminister mehr“, so Heiko Maas weiter. „Aber ich schlage vor, wir führen dieses neue Rechtsstaatsprinzip auch in der deutschen Justiz ein: Erst verurteilen, dann aufklären! Das verkürzt die Zeit der Verfahren drastisch und schafft dem Ankläger Rechtssicherheit.
Und was bedeutet der Rechtsstaat 2.0 für das Gift-Attentat auf Sergej Skripal? „Als uns die Briten erklärten, dass höchstwahrscheinlich der Russe schuld sei erinnerte ich mich sofort an das kleine Experiment mit meinem Sohn. Keine Frage, dass ich mich da als deutscher Außenminister sofort der britischen Meinung anschließe. Die Strafmaßnahmen gegen Russland müssen in die Wege geleitet werden, noch bevor die Organisation für das Verbot chemischer Waffen ihre Untersuchungsergebnisse vorlegt. Wenn wir uns erst einmal im Krieg gegen Russland befinden, dann wird niemand mehr nach diesen Ergebnissen fragen. Und spätestens dann wissen wir alle, wie böse der Russe wirklich ist. Und dann funktioniert auch endlich mal der Zusammenhalt innerhalb von Europa. Das wär doch nicht schlecht, oder?“